Mushin – Flow State in den Kampfkünsten und Kampfsportarten


Mushin – Flow State –  im Kampfsport
Mushin – Flow State – im Kampfsport

Leicht und mühelos den Gegner im Kampf zu kontrollieren und zu besiegen, ist der Traum eines jeden Kämpfers. Um das zu erreichen, oder dem Ziel so gut als möglich nahezukommen, benötigst du das entsprechende körperliche Training und ganz wesentlich die richtige mentale Haltung.

Mushin bezeichnet in den japanischen Kampfkünsten einen Zustand der Selbstvergessenheit, vergleichbar mit dem Flow State. Es ist ein Geisteszustand, der optimale Leistung erlaubt. Im Hier und Jetzt lebend, ohne jegliche Ablenkung, frei von Furcht, Selbstzweifeln und ohne Ich-Bewusstsein.

Wer Mushin oder einen Flow erlebt, agiert instinktiv aus dem Unterbewussten. Was zeichnet diesen Zustand aus und lässt er sich gezielt herbeiführen? Mehr dazu in diesem Beitrag.

Was ist Mushin/Flow?

Im Geisteszustand des Mushin übernimmt das Unterbewusstsein die Führung. Der gesamte Fokus, die ganze Aufmerksamkeit liegt auf der gerade ausgeübten Tätigkeit.

Dabei befindet sich der Kämpfer in einem Zustand freudiger Erwartung und Selbstvergessenheit. Er „spielt“ ist ohne Angst, Wut oder Bedenken. Er agiert völlig im Hier und Jetzt, was ihm erlaubt völlig in seiner Aufgabe aufzugehen. Die gesamten geistigen und körperlichen Kapazitäten sind auf die Erfüllung der gestellten Aufgabe konzentriert.

Ein bewusstes Denken findet nicht mehr statt. Der Geist ist quasi auf Autopilot geschaltet und handelt völlig automatisch. Das nicht Denken hat in diesem Zusammenhang nichts Negatives oder Nachteiliges an sich, wie es von manchen fälschlicherweise verstanden wird.

In dem Zustand des Mushin werden vorher angeeignete Fähigkeiten und Wissen, völlig mühelos abgerufen. Oft wird dabei von einem völligen eins werden mit der Umwelt berichtet. Es muss wohl so eine Erfahrung gewesen sein, die den Begründer des Aikido Ueshiba dazu bewegte, seine Kampfkunst zu gestalten.

Dieser Zustand der völligen Fokussierung auf eine Aufgabe steht dem entgegen, was die meisten von uns im Alltag so treibt. Ein Gedankenkarussell (monkey mind) in dem sich der Geist wie ein Affe von Ast zu Ast hangelt, ohne Ruhe zu finden oder bei einer Sache zu verweilen.

Isshin – Mushin – Zanshin – drei Phasen des Kampfes

Die drei Begriffe bezeichnen in der japanischen Spreche drei Phasen eines Konflikts, bzw. die damit einhergehenden Geisteszustände.

  • Isshin: Bedeutet ein Herz, Geist.  Beschreibt die Verbindung mit dem Gegner, das Abschätzen und die Vorbereitung auf die kommende Konfrontation.
  • Mushin: Die eigentliche Auseinandersetzung. Kein „Denken“ in diesem Zustand!
  • Zanshin: Ein Zustand der fortwährenden Achtsamkeit und Anspannung, nach der eigentlichen Auseinandersetzung. Ist die Bedrohung tatsächlich vorüber? Gibt es noch weitere Bedrohungen?

Körperliche Abläufe im Zustand des Flow

  • Der präfrontale Cortex im Gehirn wird teilweise nicht aktiviert. Das Unterbewusstsein, der Instinkt, übernimmt. Viele Wiederholungen im Training begünstigen die Abrufbarkeit des Gelernten.
  • Die Gehirnwellen verlangsamen sich und befinden sich nun im Bereich Theta.
  • Die Herzfrequenz ist relativ langsam, gemessen an der Situation und der körperlichen Belastung.

Multitasking – „Monkey Mind“ und Flow State?

Das bzw. das sogenannte Multitasking, wie es gewöhnlich verstanden wird, steht dem Zustand des Mushin oder Flows diametral entgegen. Die Hirnforschung hat gezeigt, dass Multitasking eine Illusion ist. Es laufen immer nur einzelne Arbeitsprozesse hintereinander ab, nicht aber gleichzeitig. Da das Gehirn bewusst nur eine bestimmte Menge an Daten gleichzeitig verarbeiten kann, sinkt die Effizienz in den einzelnen Tätigkeiten mit der Anzahl der Aufgaben, die „gleichzeitig“ erfüllt werden.

So benötigt das Sprechen ca. 60 Bits. Etwa 110 Bits an Informationen können zeitgleich verarbeitet werden.

4 Phasen des Flow/Mushin

  1. Kampf bzw. Ringen mit der Situation
  2. Loslassen: Das Unterbewusstsein übernimmt. Stress fällt weg.
  3. Zustand des tiefen Flows: Der Kämpfer ist ganz im Hier und Jetzt, völlig in seiner Aufgabe aufgehend. Er agiert mühelos, inspiriert und erzielt ein außergewöhnliches Leistungsniveau. Der Kämpfer geht völlig in seiner Tätigkeit auf. Alles geschieht mühelos, natürlich und das Zeitempfinden verändert sich. Das Gefühl der vollkommenen Kontrolle über die Situation stellt sich ein und ist innerlich zutiefst befriedigend. Es herrscht Gewissheit, dass alle Fertigkeiten zur Aufgabenbewältigung vorhanden sind.
  4. Erholungsphase: Der Zustand lässt sich naturgemäß nicht für ausgedehnte Zeitperioden aufrechterhalten. In einer Erholungsphase findet der nötige Ausgleich statt.

Wie kann man Mushin/ Flow State erreichen?

Voraussetzungen für den Flow:

  • Gefordert, aber nicht unterfordert
  • sich der Aufgabe gewachsen fühlen
  • freudige innere Leistungsbereitschaft
  • Intrinsische Motivation: Die Motivation kommt von Innen. Bestätigung von außen spielt keine Rolle.
  • Der Kämpfer frei von negativen Emotionen
  • Ein unmittelbares Feedback in der Tätigkeit ist gegeben.

Trigger – Was löst Mushin aus?

Die Frage, wie lässt sich ein Flow State gezielt erreichen, brennt auf der Haut. Wer die Fähigkeit gezielt abrufen kann, hätte einen unglaublichen Vorteil im Kampf.

Peripheres Sehen – Flow State

Es gibt unterschiedliche Auslöser für den Flow State oder Mushin. Ein wesentlicher Punkt dürfte dabei die Art des Sehens, der Wahrnehmung der Umgebung also sein. Das sogenannte periphere Sehen oder Silhouetten – Sehen hat sich dafür als sehr förderlich erwiesen.

Diese Art des Sehens erweitert die räumliche Wahrnehmung, indem das Auge nicht an bestimmte fokussiert wird. Details in der Umgebung werden dann bewusst nicht so exakt wahrgenommen, stattdessen aber ein größtmöglicher Raum. Bewegungen werden sehr gut erkannt. Diese Methode wird deshalb seit jeher von Kampfkünstlern und Soldaten bzw. Behörden verwendet.

So suchen beispielsweise Scharfschützen ihre Umgebung nach Zielen ab, indem sie bewusst auf ihr peripheres Sehen umschalten. Sicherheitskräfte nutzen diese Strategie ebenfalls. Es ist überlebenswichtig, die gesamte Umgebung im wahrsten Sinn des Wortes Auge zu haben, um nicht aus unerwarteter Richtung von einem Angreifer überrascht zu werden.

Das Gegenmodell zum peripheren Sehen, stellt der Tunnelblick dar, der in ähnlichen Situationen ebenfalls ausgelöst werden kann. Die Reaktion des Menschen auf den psychischen Stress ist allerdings eine andere.

Tunnelblick – Fight/ Flight/ Freeze

Der Tunnelblick, das Blickfeld verengt sich und nimmt nur mehr einen sehr begrenzten Raum wahr, um alles andere auszublenden, wird häufig in Hochstresssituationen ausgelöst. Er steht eng in Verbindung mit dem Fight/Flight/Freeze Phänomen. Dieses ist in gewisser Weise mit dem Flow State verwandt, aber im Gegensatz zu diesem mit hohem Stress verbunden. Auch hier kann das bewusste Denken ausgeschaltet sein, führt aber hier nicht zu einer Leistungssteigerung, sondern eher zu einer Beeinträchtigung. Grobmotorik herrscht hier vor.

Meditation – meditative Praktiken

Das Training den eigenen Geisteszustand zu kontrollieren und bewusst zu steuern erleichtert den Zugang zum Flow State.

Wer trainiert loszulassen und sich auf eine Sache zu konzentrieren, während er störende und hemmende Gedankengänge ausschaltet, tut sich naturgemäß leichter den Zustand des Mushin zu erreichen.

Meditiert werden kann durchaus auch in Bewegung und nicht nur in körperlicher Unbewegtheit. Wer also ganz gezielt in sein Kampfsport- oder Kampfkunsttraining meditative Aspekte integriert, erhöht seine Chancen Mushin zu erreichen.

Traditionelle Kampfkünste, wie das Aikido oder Karate haben spezielle Übungen entwickelt, um diese Fähigkeit zu erlangen. Sie tun dies in speziellen Formen (Katas) und Meditationen.

Visualisierungen bestimmter Situationen, Musik und die aus der neurolinguistischen Programmierung bekannte Ankertechnik, können diesbezüglich ebenfalls sehr hilfreich sein. Ankertechniken verbinden einen äußeren Reiz mit einem inneren Zustand. Ist der Anker einmal richtig gesetzt, kann der jeweils gewünschte Gefühlszustand gezielt abgerufen werden.

Mushin im Kampf – Wie erreichen?

Wer im Kampf, denkt, Gedanken innerlich verbalisiert und formuliert, handelt bewusst. Er ist damit einem Gegner im Flow State haushoch unterlegen. Der denkt nämlich nicht. Dessen Handeln und „Denken“ sind eins, die Aktionen erfolgen ohne Verzögerung.

Wer die Filme der Matrix Reihe kennt und sich Neos Kämpfe in Erinnerung ruft, bekommt eine, wenn auch in manchen Szenen stark übertriebene, Demonstration des Flow States im Kampf.

Historische Berichte erzählen immer wieder von Kämpfern, die auf dem Schlachtfeld nicht oder nur äußerst schwer zu besiegen waren und sich gegen eine große zahlenmäßige Übermacht behaupten konnten.

Wir können davon ausgehen, dass diese Leute sich im Zustand des Mushin befanden. Sie agierten im Hier und Jetzt und schöpften ihr Potenzial maximal aus. Unbehindert durch die Angst vor Verletzungen und Tod, aber keineswegs blindwütig, sondern besonnen und äußerst effizient agierend.

Die Zeitwahrnehmung veränderte sich ebenfalls. Subjektiv scheint der Kampf in Zeitlupe zu verlaufen. Es ist mehr als genug Zeit, um zu agieren und zu reagieren.

Fehler des Gegners werden unmittelbar erkannt und ausgenutzt. Diese Fähigkeit hängt auch, neben den Gehirnwellen (Theta) und dem Hormoncocktail, mit dem oben erklärten peripheren Sehen zusammen. Visuelle Informationen können so früher und schneller, ohne Ablenkung und Verzögerung wahrgenommen werden.

Bruce Lees  „Be like water my friend!“ – kann als weitere Hinweis für eine gewinnbringende Geisteshaltung gesehen werden.

Mushin und Zen

Mushin wird auch als Zustand der Selbstvergessenheit im Zen-Buddhismus bezeichnet.

„Wenn unser Geist die Ruhe findet, verschwindeter von selbst!“

„Man muss in jeder Bewegung vollständig gegenwärtig sein: Sich hier und jetzt konzentrieren – das ist es, was Zen uns zu lehren hat.“

Taisen Deshimaru-Roshi

Tipps zur Trainingsgestaltung

Um Mushin oder Flow leichter erreichen zu können und diesen Zustand zu trainieren, kannst du das Folgende machen. Nimm dir unabhängig davon, ob du alleine trainierst oder Sparring betreibst, bevor du beginnst, gedanklich vor, was du üben möchtest und welche Elemente du verbessern und trainieren willst.

Sobald du in die Aktion gehst, stoppe das bewusste Denken und agiere einfach. Du übergibst quasi an dein Unterbewusstsein, das ja schon vorher Anweisungen empfangen hat. Sobald du bemerkst, dass deine Konzentration nachlässt oder du beginnst einen inneren Dialog zu führen ist es Zeit abzubrechen. Sich kurz zu sammeln, zu konzentrieren und es wieder zu versuchen.

Wer das regelmäßig in sein Training einbaut, wird schnell merken, dass es möglich ist einfach zu tun, ohne bewusste Kontrolle ausüben zu müssen und beginnen auf seine Fähigkeiten mehr und mehr zu vertrauen.

Intuitives, richtiges Agieren und Reagieren sind elementare Fähigkeiten in einem Kampf zu bestehen. Denke an eine Selbstverteidigungssituation. Du hast keine Zeit mehr bewusst zu analysieren. Du musst unbewusst das Richtige tun, die Situation erfassen und bestmöglich zu deinen Gunsten lösen.

Ein entsprechendes Training, das sich nicht nur dem körperlichen und technischen Aspekt des Phänomens Kampf widmet, ist hier unabdingbar.

Fazit – Mushin – Flow State

Der Flow State oder Mushin beschreibt Momente der höchsten Leistungsfähigkeit und Produktivität. Er ist eng daran gekoppelt, voll in der jeweiligen Tätigkeit aufzugehen. Das ungehindert durch Ängste, Selbstzweifel oder andere negative Emotionen wie Ärger und Wut.

Dieser Geisteszustand spielt in vielen Bereichen des Lebens eine wichtige Rolle. Nicht nur Kämpfer und Extremsportler, die sich an ihren absoluten Leistungsgrenzen befinden, berichten immer wieder davon. Für viele wird dieses Gefühl zur Sucht und in weiterer Folge der Grund immer neue, gefährliche Herausforderungen zu suchen.

Mushin, im Hier und Jetzt zu sein, spielen eine wesentliche Rolle im Zen Buddhismus, aber auch für all jene, die produktiv arbeiten möchten.

Viel Spaß beim Training!

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